Unsere letzte grosse Etappe führt uns von Fort Lauderdale, dem Venedig der USA, nach Barcelona. Ueber den grossen Teich. Den Atlantik. Dabei ist der Pazifik ein viel grösserer und auch tieferer Teich. Wir geniessen nochmals die Sonnenstrahlen in Florida und bewundern bei unserer Fahrt mit dem Wassertaxi die Anwesen der Berühmtheiten mit eigenem Kanalanschluss und manchmal noch einem Boot, welches nochmals ein paar Millionen kostet…
Ökonomie des Reisens
Bei unserer Umfrage wollten wir wissen, welches wohl das günstigste Reisemittel ist. Bei dieser Gelegenheit ein herzliches Dankeschön an die vielen (kreativen) Vorschläge. 🙂 🙂
Wer hat nun also das Rennen gemacht?
Überraschung 1: Wenn wir im April zu Hause sein wollen (siehe Wortlaut der Umfrage 🙂 ), so ist das Flugzeug für unser Budget die TEUERSTE Variante! Obwohl der Flug zwar etwa gleich teuer ist wie die anderen beiden Varianten Container- und Kreuzfahrtschiff, so ist es für unser Budget teurer, weil wir ja zusätzlich noch eine Unterkunft und Verpflegung für die zwei Wochen benötigen, während denen wir auf dem Schiff beides schon im Preis inkludiert haben. Das Flugzeug fällt also weg.
Überraschung 2: Entgegen der landläufigen Meinung sind Containerschiffe eine relativ teure Angelegenheit. Bei genauerer Kalkulation sind die Kosten sogar eindeutig höher als bei unserem Kreuzfahrtschiff.
Es reicht sogar für einen Stateroom mit eigener Veranda! Vollständigkeitshalber sei erwähnt, dass es sich um eine “Repositioning-Cruise” handelt, bei welcher das Schiff nach der Karibik-Saison zur Mittelmeer-Saison über den Atlantik überführt wird. Viel Komfort für wenig Geld also. Zum krönenden Abschluss haben wir gegen ein wenig Luxus nichts einzuwenden. Und Blog-mässig ist es wohl auch die spannendste Variante…! 🙂
Lass dich überraschen
Von unserem Segelkurs in Neuseeland wissen wir ja noch, wie man ein Logbuch führt. Der Kapitän informiert durch den Lautsprecher: Good afternoon Ladies and Gentlemen…
Unsere Non-Prosa-Variante: 26° 35′ N, 71° 14′ W, Course: 075°, Speed: 16.0 kts, Beaufort 7, Coverage: 2/8
Der niederländische Kapitän der Holland American Line (HAL) erinnert uns mit seinem Dialekt und der showmässigen Ansage ein bisschen an den früheren Showmaster Rudi Carrell: “Lass dich überraschen, schnell kann es geschehn,… werden Träume Wirklichkeit … Eben noch mit Rucksack auf Weltreise, jetzt auf uuuuuunserer Shooowbühne!! Ein Glück, dass wir das Abendkleid und den Anzug noch in unserem 30-Liter Rucksack dabei hatten! 😉 Einen Tuxedo braucht’s für die formellen Abende zum Glück nicht…
Es schaukelt. Beaufort 7 ist eine “moderate gale”, ein Stürmchen. Die Stärke des Wellengangs und somit der Windstärke erkennt man anhand der kleinen weissen Schäumchen, die sich an den Spitzen der Wellen bilden und welche wie eine Herde Pferdchen über den Ozean huschen. Der Laie erkennt es spätestens, wenn die Veranda auf Deck 3 – die Walkingpromenade – geschlossen wird, das Wasser sicherheitshalber aus den Swimmingpools gepumpt wird und die Kotztütchen bei den Liften aufgehängt werden. 😮 Gleichzeitig befinden wir uns im sagenumwobenen Bermudadreieck, auch nicht gerade ein gutes Omen.
Hohe Wellen
Wir sitzen trotz der Herde Pferdchen auf unserem Balkon der “Noordam” und schauen auf die Weiten des Atlantiks. Der Ozean, der Amerika von unserer Heimat Europa trennt. Der Ozean, der zwei unterschiedliche Soziokulturen trennt. Der Amerikaner, pragmatisch, schlägt mit seinen verbalen Ausführungen hohe Wellen. Allein ein Kaugummigeschmack ist manchmal Gegenstand ausführlicher Diskussionen und dauert vom A-Deck bis zum Lido-Deck im 10. Stock. Elevators Pitch habe ich anders in Erinnerung. Währenddessen der Europäer, in seiner tiefgründigen Art, die Tiefen des Meeres in allen Details erkundet und ausser dem komplizierten Blubbern tief unter der Meeresoberfläche nicht viel von sich gibt. Seine temporäre Abschmetterung von Small Talk wird mit Entsetzen zur Kenntnis genommen. Was wäre die Welt ohne Stereotypen? 🙂
Der Ozean, der aber auch zwei unterschiedliche Kulturen verbindet. Wir lernen viele interessante Leute kennen – der Grossteil der 2000 Gäste an Bord sind Amerikaner.
Sie haben schon viel erlebt. Das sind ihre Geschichten…
Beim “Golf-Putting-Contest” lerne ich die nette Lady Jan kennen. Ihr Gedächtnis ist ausgezeichnet. Sie weiss sogar noch, welchen Vornamen die Kühe bei ihrem damaligen Besuch in Appenzell hatten. 😉 Sie zeigt uns ein Foto ihres Enkelsohnes, der gerade im Zoo auf einen Plastik-Leguan steigt. Ihr Mann, der ebenfalls Jan heisst, war als Coast Guard tätig und darf als Kriegsveteran in ein paar Wochen mit der Air Force fliegen.
Ebenfalls beim Putten – ich war nur einmal da! – schenkt mir Martin aus Toronto einen winzigen Pin mit dem Canada-Emblem. Das Geschenk erinnert mich an die Zeit, als ich als junger Hockeycrack Pins noch sammelte und an meinen Hut steckte. Vor etwa 30 Jahren. Dazu gibt er mir Reisetipps für einen Besuch in Malaysia, seiner ursprünglichen Heimat. Als Dankeschön schenke ich ihm ein Victorinox Sackmesser. Dieses hat uns seit Beginn der Reise begleitet und nun doch noch einen ehrenvollen Abnehmer gefunden.
Betty und Michael aus Dallas, Texas, haben damals ihre Flitterwochen in der Schweiz verbracht. Oder zumindest einen Tag davon. Sie schwärmen von Zug und dem Wallis. Michael hat in der Schule einmal Deutsch als Fremdsprache gelernt. Und nicht Spanisch, wie alle seine Kollegen. Auch wenn Betty und Michael pro Seaworld und contra Golf sind, mögen wir sie trotzdem.
Ed Bozulich aus Greenfield, Indiana, kroatischer Einwanderer in der ersten Generation. Er händigt uns seine Visitenkarte aus, darauf steht auf braunem Hintergrund: Vintage Traveler. Er besucht Freunde in Steffisburg bei Thun und hilft diesen bei der Vorbereitung des Besuchs in den USA. Ed gibt uns die E-Mail Adresse seiner Schweizer Freunde, da deren Tochter etwa in unserem Alter ist. Auch etwa 25. 🙂 Ja, Alter ist relativ. Oder Reisen hält jung. 🙂
Ich will nicht zum Arzt
Das Durchschnittsalter der Gäste senken wir durch unsere Präsenz auf etwa 79.8 Jahre. Trotzdem werde ich zu Fuss von allen überholt, bemittleidenswert angeschaut und schon mit “ah, the injured guy” angesprochen. Denn die Weltreise ist nicht spurlos an meinem Knie vorbeigegangen. Tendonitis (Sehnenentzündung des Knies), meint später der Boardarzt Dr. Berry. Während ich auf ihn warte, werde ich von seiner Medical Assistant in Empfang genommen. Sie will mir für irgendwelche Böböchen (nicht für das Knie) ein paar Medikamente schmackhaft machen. Ich erinnere mich an das “Drugs Kompendium” in der Board-Bibliothek gleich neben dem Explorer’s Café, welches mehr Seiten als meine Corporate Finance und Intercultural Management Bücher gemeinsam vorweist. Und dies will etwas heissen. Ich lehne kategorisch ab mit dem Hinweis, dass ich – kulturbedingt – nicht für alles Medikamente schlucke. Sie ist sichtlich not amused. Beim nächsten Besuch schenke ich ihr unser zweitletztes Lindt-Schocko-Eili. Nun ist wieder Harmonie eingekehrt. Sie schickt mich zu Dr. Berry, der mir doch noch einen grossen Sack Ibuprofen überreicht. Das Problem ist zwar damit nicht gelöst, doch kann ich inzwischen auf den Fluren tempomässig mit den Senioren mithalten. 🙂
Alles in Butter aufm Kutter
Das Fitnessprogramm fällt also für mich vorläufig aus. Gelegenheit, einem Trend auf den Zahn zu fühlen: Body-Tracking. Wie waren also die Auswirkungen der Weltreise auf meine Körper-Werte? Mein Gewicht liegt aktuell bei 152 lbs und hat sich während den letzten Monaten nicht verändert. Das Target liegt bei 148.2. Und der Körperfett-Anteil beträgt 19.1 Prozent. Target: 17%. Diese Nice-to-have-Ziele sollten machbar sein. Mittelfristig. Denn wir befinden uns noch am Anfang unserer Kreuzfahrt mit fantastischen 4-Gang-Gourmet Menüs. Die beste Crême Brulé, die wir je hatten… Mmmhh
Sportlich und kulinarisch sieht es also schwierig aus. Zum Glück gibt es noch ein drittes Element, welches die heilige Dreifaltigkeit meiner Möglichkeiten vervollständigt: Detox. Mit Salben und Kapseln soll das Wasser ausserhalb der Zellen in die Zellen reinkommen (oder so ähnlich?). Nun ich werde mir darüber Gedanken machen. Und wenn wir gerade beim Ausmessen sind, machen wir noch einen kostenlosen Fussabdruck-Test. Nach dem 2-minütigen Prozedere wird mir eine Einlage offeriert, welche die Körperbelastung gleichmässiger auf den ganzen Fuss verteilen soll. Tönt plausibel. Kostenpunkt 200 Dollar. Auch hier werde ich wohl einmal drüber schlafen.
Das Programm auf dem Schiff lädt zum fröhlichen Lädele ein und ist ideal auf die amerikanischen Silvershopper abgestimmt. Andi Warhol hat einmal gesagt: “Kaufen ist amerikanischer als Denken…”. Spätestens nach dem Casinobesuch, dem Shopping und der Park West Auktion haben einige Boardgäste schon ein Vielfaches von dem ausgegeben, was die Schifffahrt selber kostet. Wir halten uns zurück, wollen wir doch die korrekte Antwort unserer Umfrage nicht verfälschen.
Zum Ersten, zum Zweiten…
Der Patriotismus der Amerikaner kann kaum überboten werden. Ausser bei einer Kunstauktion. Die Lieblingsmotive der Künstler sind Amerika-Flagge, die Freiheitsstatue oder der American Eagle. Den Leuten gefällt’s. Wir sitzen inmitten des Publikums und warten gespannt auf die Versteigerung der Kunstwerke. In der Hand halten wir unsere Bieternummer 122. Wir haben nicht vor, diese zu zücken. Doch Lester, der smarte “Principal Art Auctioneer” weiss, wie man die Leute anheizt: “If you like it, just like it!! Who likes it…??”. Ganz unverbindlich. So geht es weiter, bis jeder genug oft die Bieterkarte geschwenkt hat. Bis die Handbewegung zur Routine wird. Bei der ersten Auktion geht alles sehr schnell. Man verliert schnell die Uebersicht. Wurde das Bild nun verkauft oder nicht? Zurückschauen gehört sich nicht, so will es ein ungeschriebenes Gesetz.
Bei unserer zweiten Auktion machen wir es besser. Aus der hintersten Reihe haben wir den perfekten Ueberblick. Die Auktion geht diesmal schleppend voran. Schon ein gutes Duzend Bilder wurden gezeigt und vom Publikum mit Applaus wieder zurück in die Abstellkammer verabschiedet. Doch jetzt kommt Bewegung rein. Ein Kunstwerk von Tomasz Rut zeigt einen muskulösen Mann, der eine nicht minder attraktive Lady “bekuschelt”. Das ganze im Patina Stil. Das Bild geht für 1’400 Dollar weg. Sex sells! Ebenfalls beliebt sind Schnäppchen. Lester: “Der Retail-Price dieses Kunstwerkes von Thomas Kinkade ist sonst 1200 Dollar. Ich verkaufe es euch nicht für 1200, nicht für 900 nicht für 600. Der Preis lautet 350 Dollar.” Dies lässt die Leute im Saal kalt: “You can do better!”. Dies lässt Lester nicht auf sich sitzen. Er kontert: “Was meint ihr, wenn ich noch einen zweiten Kinkade dazustelle? Und einen dritten…?” Am Schluss gehen fünf Bilder für 350 Dollar an den Käufer.
In einem Kunstseminar über Kinkade (verstorbene Künstler nennt man beim Nachnamen, noch lebende Künstler beim Vornamen, ausser es gibt noch einen bekannteren Künstler mit gleichem Vornamen. Kinkade ist am 6. April 2012 an einer “acute ethanol and Diazepam intoxication” gestorben) habe ich erstaunliche Eigenheiten über den Artisten erfahren. So hat Kinkade seinen Bildern neben der üblichen Unterschrift noch eine zweite, sogenannte DNA-Unterschrift ergänzt, welche mit Oel und seinen, durch seinen Friseur eingesammelten Haaren besteht. Crazy!
Das Sonderangebot von Kinkade hat also gewirkt. Vielleicht hat das gratis Cüpli auch noch einen kleinen Beitrag geleistet.
Art(ificial)
Der Champagner ist echt. Gefälscht sind die Kopien, die man hier ersteigern kann, auch nicht. Es handelt sich um Lithografien. Während das Original von Peter Max (ursprünglich Deutscher, hat neben anderen Künstlern das NBC-Logo, den Peacock, redesignt) für rund 20’000 Dollar erhältlich wäre, kann man hier die offizielle Kopien oder eben Lithografien des wohl besten Pferdes im Stall von Park West schon für lächerliche 800 Dollar haben. So ist es möglich, dass das Kinkade-Schnäppchen-Paket für 350 Dollar nicht nur einmal sondern gleich fünfmal verkauft wird. Jedes Bild gibt es somit mehrere Hundertmal, wobei diese meist nummeriert sind. Kunstkommerz. Ich rechne gerade aus, wieviele Lithografien ich machen könnte, wenn ich ebenfalls eine DNA-Unterschrift mit meiner Kopfbehaarung kreieren würde. 😉
Noch haben wir unsere Bieternummer in sicherer Reichweite auf dem Salontisch abgelegt. Eine der letzten Losnummern, die versteigert werden, sind drei Bilder von Andrew Bone. Bone geht gerne auf Safari, stürtz sich vor ein wildes, auf ihn zurasendes Rhino, springt im letzten Moment weg und verarbeitet dann seine Eindrücke im Atelier. We like it. Aber es würde mit 800 Dollar unser Budget sprengen. Inzwischen hat Lester aber ein Päckli geschnürt: 3 Bone’s nach freier Wahl für 269 Dollar! Unsere Chance! Unser erstes ersteigertes Bild? Die Schweiz hält zusammen mit Belgien wahrscheinlich den höchsten Bevölkerungsanteil an Sammlern zeitgenössischer Kunst!
Wollen wir auch dazugehören? Sollen wir unsere Bieternummer zücken? Ein Päckli ist schon weg, 4 bleiben noch übrig. Die Verlockung ist gross, wir können aber widerstehen. Das Kreuzfahrtschiff bleibt die günstigste Reisevariante – dafür gehen wir leer aus. Oder doch nicht? Bei der “Raffle” wird die Bieternummer 122 gezogen. Wir haben gewonnen! 🙂 Es ist eher ein Gewinn wie beim Lotto und nicht das Gefühl der Eroberung eines Kunstwerkes an einer Versteigerung. Der Preis: Fünf Lithographien verschiedener Künstler. Zwar nicht nummeriert. Aber immerhin. Ein geschenkter Gaul.
To be continued…
Ein bedeutendes Diskussionsthema ist für US-Amerikaner natürlich Obama-Care. Aus aktuellem Anlass – er kann ja nun ein wenig aufatmen – zeigen wir hier seine neuste Rede zur Lage der Nation.
If you like it, just like it..! 😉